Nach zwei Jahren europäischer Durststrecke qualifizierte sich der 1. FFC Frankfurt vor der Saison 2014/15 wieder für die Women’s Champions League und durfte sich dort wieder mit den europäischen Topklubs im Frauenfußball messen. „Wir hatten nach der zweijährigen Abstinenz mit Unterstützung unserer Sponsoren nochmal personell aufgerüstet und sind mit großen Hoffnungen und Zielen in den drei Wettbewerben angetreten“, blickt Siegfried Dietrich auf den Saisonstart zurück und ergänzt: „Mit Colin Bell hatten wir zudem einen Cheftrainer, der in besonderer Weise für den Fußball brannte. Ein großer Motivator, der unser Team auf Ziele einschwören konnte.“
Fokus auf die Königinnenklasse
In Liga und DFB-Pokal lief es um das Team aus Topstars wie Dzsenifer Marozsán und Célia Šašić und routinierten Nationalspielerinnen wie Kapitänin Kerstin Garefrekes überschaubar. Im Fokus lag sportlich also der europäische Wettbewerb: „An der Chance auf die Krone Europas hielten wir fest. Und wir wussten sehr gut, was jede Runde in Sachen Vermarktungswerten auch für unsere eigene Zukunft bedeutete.“ Der Wettbewerb mit Lizenzvereinen von Männermannschaften wurde immer umkämpfter, die wirtschaftlichen Herausforderungen immer größer: „Wir mussten in jeder Saison auf höchstmöglichem Niveau abschneiden, um die notwendigen Erlöse für ein ausgeglichenes Saisonergebnis zu generieren. Umso erfreulicher war auch in diesem Kontext unser Abschneiden in der Champions League, das uns wirtschaftlich absicherte.“
Mit Losglück und teils hohen Siegen wie auch im Halbfinale über den dänischen Vertreter Bröndby IF (7:0 und 6:0) ging es ins Finale, das im Berliner Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark gegen den französischen Topklub Paris Saint-Germain stattfand. „Was für ein Gefühl! Wenn ich an unseren hochkarätig besetzten Kader denke, mit vielen Leistungsträgerinnen aus der Nationalmannschaft, funkeln mir heute noch die Augen“, schwärmt Dietrich, der aber auch um die Erwartungshaltung und Herausforderung gegen die „wirtschaftlich viel stärkere Mannschaft aus Paris“ wusste, die im Turnierverlauf immerhin Olympique Lyon und den VfL Wolfsburg besiegt hatten. Ein besonderes Spiel unter besonderen Voraussetzungen. Im ausverkauften Stadion mit 17.147 Zuschauenden war mit der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel an der Spitze auch geballte Prominenz zugegen.
„Ein Erlebnis, das immer noch Gänsehaut auslöst“
Nachdem es mit einem 1:1 in die Pause ging, die Französin Marie-Laure Delie egalisierte die Führung durch Célia Šašić, stiegen Anspannung und Spannung gleichermaßen in der zweiten Hälfte. „Die löste sich erst mit dem erlösenden Tor von Mandy Islacker“, beschreibt Dietrich die ganz persönlichen Emotionen in der zweiten Minute der Nachspielzeit: „Ich wusste nicht, wo ich zuerst hinlaufen sollte und bin nach dem Abklatschen der Delegation und der Ehrengäste selten so schnell auf dem Spielfeld gewesen. Was für ein Gefühl im Berliner Abendhimmel!“ Ein Erlebnis, das bei Dietrich Spuren hinterlassen hat. „Bei der Medaillenübergabe war ich besonders emotional ergriffen und gleichzeitig verdammt stolz.“ Michel Platini und Gianni Infantino übergaben das begehrte Edelmetall, die Kanzlerin gratulierte freudig. „Ein Erlebnis, das immer noch Gänsehaut auslöst.“ Die Bedeutung des Ganzen war auch in den Gesichtern der Spielerinnen sichtbar: „Wir hatten erneut Fußballgeschichte geschrieben und etwas erreicht, das auch jedem ganz persönlich sehr viel bedeutete.“
Ich spürte, dass dies wahrscheinlich der letzte große sportliche Höhepunkt in der Geschichte unseres reinen Frauenfußballvereins war.
Siggi Dietrich
Ein Moment für die Ewigkeit? Womöglich. Ganz sicher aber einer, der noch zehn Jahre später nachhallt. Denn schon auf dem Weg zum Rasen ging Dietrich ein Gedanke durch den Kopf: „Ich spürte, dass dies wahrscheinlich der letzte große sportliche Höhepunkt in der Geschichte unseres reinen Frauenfußballvereins war.“ Und eben auch einer, den in den zehn Jahren danach kein deutscher Klub mehr erreichte. In den Folgejahren war der Klub zwar finanziell abgesichert, konnte aber an die großen Erfolge nicht mehr anknüpfen. In diesen Saisons begannen die Gedankenspiele für eine mögliche Fusion mit Eintracht Frankfurt und laut Dietrich waren die Gespräche mit den Verantwortungsträgern zu dieser Zeit, Axel Hellmann und Fredi Bobic, „wichtiger als viele Saisonspiele.“ Und die Fusion, die dann 2020 vollzogen wurde, gilt für den damaligen Manager und späteren Generalbevollmächtigten der Eintracht Frankfurt Fußball AG und Sportdirektor der Frauen, welche Ämter Dietrich bis zu seinem Ausscheiden Ende 2022 innehatte, „als fünfter und abschließender Champions-League-Titel unserer 22-jährigen Vereinsgeschichte.“