Von einer „Kampfsportart“ ist die Rede, die der „Natur des Weibes im Wesentlichen fremd ist“. Körper und Seele würden „unweigerlichen Schaden“ erleiden, das „Zurschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand.“ So begründet der Deutsche Fußball-Bund (DFB) auf seinem Verbandstag den Beschluss, den im DFB organisierten Vereinen das Angebot des Frauenfußballs zu untersagen. Das war am 30. Juni 1955, und immerhin 15 Jahre hatte diese Entscheidung Bestand. Denn aufgehoben wurde sie am 31. Oktober 1970, also am Samstag vor 50 Jahren.
Bei Eintracht Frankfurt hat der Frauenfußball erst viel später richtig Fahrt aufgenommen – und das, nachdem wenige Jahre zuvor noch die nächste Vollbremsung eingelegt worden war. Stefan Winterling, heute im Verwaltungsrat tätig und im Jahr 2003 zum Abteilungsleiter Fußball gewählt, erinnert sich. „Zusammen mit Axel Hellmann [damals Geschäftsführer und Präsidiumsmitglied; Anm. d. Red.] haben wir geprüft, ob wir Frauenfußball bei uns anbieten können, weil wir das sehr interessant fanden. Zumal wir uns gerade in einer Phase befanden, in der die U-Teams ins Nachwuchsleistungszentrum abwanderten und die Fußballabteilung zwangsläufig ausdünnte. Aber Klaus Lötzbeier [Präsidiumsmitglied; Anm. d. Red.] wies uns darauf hin, dass man 1997 beschlossen hatte, dass es keinen Frauenfußball bei Eintracht Frankfurt geben wird“, erzählt Winterling. Doch dieser Beschluss wurde im November 2003 aufgehoben, der Weg war nun frei.
Die Bremse war gelöst, und das Gaspedal wurde in Sachen Frauenfußball schnell durchgedrückt. Mit Tamara Varga wurde eine Trainerin gefunden, ein Sichtungstraining wurde angeboten, eine Mannschaft angemeldet. Im ersten Pflichtspiel zu Hause – eines der ganz wenigen auf dem Hauptplatz am Riederwald – wurde der spätere Meister TGM/SV Jügesheim II 11:0 bezwungen. Auch der zweite Platz reichte zum Aufstieg in die Bezirksoberliga, aus der 2008 der Sprung in die Verbandsliga gelang. Diese war nur Durchgangsstation, 2012 ging es sogar hinauf in die Regionalliga. Es war das Jahr, in dem Stefan Winterling den Staffelstab an Ottmar Ulrich übergab und daher mit heute einem Augenzwinkern sagen kann: „Unter mir ging es nur aufwärts.“ Denn neben allen Erfolgen wie auch drei Hessenpokalsiegen gab es 2016 mit dem Abstieg aus der Regionalliga den einzigen großen sportlichen Rückschritt. Die Korrektur folgte prompt, und wiederum nur ein Jahr später klopften die Adlerträgerinnen in der Aufstiegsrunde an das Tor zur Zweiten Bundesliga. Nach der Fusion mit dem 1. FFC gehören viele Spielerinnen der ehemaligen ersten nun zum Kader der dritten Mannschaft, die damit seit 2012 mit einem Jahr Unterbrechung in der Regionalliga beheimatet ist.
Für den Unterbau wurde ebenso gesorgt. Im Jahr 2006 kamen Mädchen hinzu, zwei Jahre später wurde eine zweite Mannschaft in den Spielbetrieb aufgenommen. „Unser Ziel war es immer, organisch zu wachsen. Wir wollten klein anfangen, aber als Eintracht Frankfurt ist nach oben natürlich immer Luft“, erklärt Stefan Winterling den Aufschwung, den man aus eigener Kraft bewerkstelligen wollte. „Deswegen haben wir auch 2006 nicht die Lizenz des FSV Frankfurt übernommen, als sich dieser zurückgezogen hat.“ Werder Bremen und der 1. FC Köln haben etwa zur gleichen Zeit mit dem Frauenfußball begonnen und seien schneller nach oben gekommen. „Wir haben aber auch eine große Schwester in der Stadt gehabt, den 1. FFC Frankfurt“, begründet Winterling. Das dadurch entstandene Wechselspiel zwischen der Eintracht und dem 1. FFC sei aber für beide Seiten eine Win-win-Situation gewesen. Vor den Toren Frankfurts entstand in Bad Vilbel beim SC Dortelweil ein weiterer Standort mit Mädchen- und Frauenfußball, alle drei Vereine stellten in der Saison 2019/20 jeweils eine Mannschaft in der U17-Bundesliga. Ein Indiz dafür, wie viel Anziehungskraft der Fußball bei den Mädchen und Frauen in der Rhein-Main-Region besitzt.
Während die Eintracht nicht nur durch die Fusion mit dem 1. FFC, der wiederum 1998 aus der SG Praunheim entstanden war, weiter an der Professionalisierung arbeitet, erinnert sich Winterling an die Anfänge. „Wir haben mit weiblichen Fans angefangen, die Fußball spielen konnten. Sie haben zunächst abgetragene Trikots der Männer getragen, wir sind durch ganz Frankfurt getingelt und haben auf durchweichten Plätzen zu absoluten Randzeiten trainiert, bis wir auf dem einen oder anderen Platz ohne Flutlicht den Ball nicht mehr gesehen haben.“ Am alten Riederwald habe man erstmal einen Platz für einen kleinen Spind für das Material finden müssen. „Aber es hat immer Spaß gemacht“, betont Winterling. Viel hat sich seitdem getan, nicht nur bei der Eintracht, sondern in Deutschland allgemein. Spiele werden live im Fernsehen übertragen, längst wird auch 90 Minuten gegen den Ball getreten (früher nur 70), internationale Erfolge der Nationalmannschaft sowie der deutschen Vereine haben zum Wachstum ebenso beigetragen wie die Heim-WM 2011. Eintracht Frankfurt unterhält heute jeweils vier Frauen- und Mädchenmannschaften, kürzlich bot die Fußballschule das erste reine Mädchencamp an. Sandra Minnert, ein Kind der Region und Deutsche Meisterin mit dem FSV und dem 1. FFC Frankfurt, sagte am Rande des Camps, in dem die 147-fache Nationalspielerin als Trainerin fungierte: „Die Mädchen haben viel bessere Bedingungen als wir damals. Die Fusion tut dem Frauenfußball in Frankfurt richtig gut.“
Frauenspiele waren ein Albtraum. Mit Fußball hatte das wenig zu tun.
Helga Altvater
Von nochmals ganz anderen Bedingungen kann Helga Altvater berichten. Als noch niemand bei Eintracht Frankfurt an Frauenfußball dachte, war sie für den Verein als Schiedsrichterin unterwegs. „Ich war immer mit meinem Vater im Waldstadion, war fußballinteressiert. Montags wollte ich auf der Bank über Fußball reden – keine Chance bei den Männern. In einer Anzeige habe ich gelesen, dass Schiedsrichter gesucht werden. Und weil der Lehrwart Eintrachtler war, bin ich nun seit 1971 Vereinsmitglied“, erzählt sie. Eben in jenem Jahr legte sie am Riederwald ihre Schiedsrichterprüfung ab, nur ein Jahr nach dem DFB-Beschluss. Schiedsrichterinnen gab es damals kaum, sodass auch die Kleiderordnung eine Herausforderung war. „Ich habe mir einen Hockeyrock gekauft. Der hängt heute im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund. „Frauenspiele waren ein Albtraum. Von der Oma bis zur Enkelin hat jeder gegen den Ball getreten. Mit Fußball hatte das wenig zu tun“, sagte sie. Altvater konnte hierzulande zunächst mangels Möglichkeiten keine Frauenspiele pfeifen, arbeitete sich über Jugendspiele nach oben. Später gelang ihr das auch auf Funktionärsebene, bis in den Süddeutschen Verband hinein bekleidete sie Posten, schaffte Strukturen, setzte sich gegen Vorurteile durch.
„Kampflos gab es nicht. Alles musste hart erarbeitet werden. Ich habe bei Verbandstagen am Schluss gesprochen, wenn schon Aufbruchstimmung war und keiner mehr zugehört hat. Als ich in den Vorstand des Hessischen Fußball-Verbandes wollte, haben alle Männer mit dem Kopf geschüttelt. Ich habe mich durchgesetzt und wurde mit 499 von 500 Stimmen gewählt. An all diesen Sachen bin ich gewachsen“, sagt sie heute, während die Nationalmannschaft ab den 1980er Jahren Titel um Titel gewann und die Bundesliga 1990 gegründet wurde – übrigens mit zwei Frankfurter Vereinen: SG Praunheim und FSV Frankfurt. Nach rund 30 Jahren in verschiedenen Funktionen schied sie um die Jahrtausendwende aus, der Frauenfußball lässt sie aber nicht los. Sie nimmt an Talkrunden teil, ist Schirmherrin eines Projektes mit acht- bis zwölfjährigen Mädchen im Gallus, nahm rund um die Weltmeisterschaft 2011 an vielen Veranstaltungen wie auch der Kinderpressekonferenz im Eintracht-Museum teil („Höhepunkt war die offizielle Willkommensveranstaltung für alle Schiedsrichterinnen“) und arbeitet mit der ersten Fußballtrainerin Hessens Monika Koch-Emsermann an einem Buch über 50 Jahre Frauenfußball in Hessen. Eine Nachfolgerin auf Schiedsrichterebene gibt’s bei der Eintracht mit Julia Boike. Die 25-Jährige pfeift bei den Frauen in der Zweiten Liga und assistiert in der Bundesliga, zu ihren Höhepunkten gehört die Leitung des Testspiels zwischen der Eintracht und dem VfL Wolfsburg in diesem Sommer. Über die Entwicklung des Frauenfußballs sagt derweil Helga Altvater: „Ich hole manchmal meinen Mann vor den Fernseher, weil ich so begeistert bin, und zeige ihm, welch hohes Niveau das Spiel hat. Früher funktionierte gerade so ein Pass über zwei Meter, heute ist das Fußball.“
Der Überraschungsverein Oberst Schiel in den 1970ern, der FSV Frankfurt in den 1980ern und 1990ern, die SG Praunheim und der Nachfolgeverein 1. FFC Frankfurt mit Manager Siegfried Dietrich ab Mitte der 1990er: Frankfurter Vereine haben immer um deutsche und seit dem 1. FFC auch um internationale Titel mitgespielt, nachdem das DFB-Verbot in den Mülleimer geflogen war. Insbesondere der 1. FFC wurde zum Aushängeschild des Frankfurter Sports überhaupt, die Professionalisierung unter Dietrich verlieh dem Frauenfußball ein nie dagewesenes Ansehen. Mit sieben Deutschen Meisterschaften, neun Pokalsiegen und vier Europapokalsiegen ist der 1. FFC Frankfurt bis heute der erfolgreichste Frauenfußballverein Deutschlands und nach Olympique Lyon Europas, 2008 gelang das Triple. An mehreren Zuschauerrekorden waren die heutigen Adlerträgerinnen beteiligt, über 50.000 Zuschauer kamen 2012 in München zum Champions League-Finale gegen Lyon (0:2). Vor fünf Jahren ging der bis dato letzte Titel nach Frankfurt. Mit der Fusion vom 1. FFC Frankfurt und Eintracht Frankfurt sind die Kräfte nun gebündelt und der Weg von reinen Frauen- zu Lizenzvereinen auch in der Mainmetropole geebnet. Ein neues Kapitel ist damit aufgeschlagen. Die Grundlage dafür wurde – zumindest beim Deutschen Fußball-Bund – vor 50 Jahren geschaffen.